Elmar Grüber
Eine Liebesgeschichte

Guten Tag
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Guten Tag allerseits

Dies ist eine (Liebes)Geschichte, die dich betrifft...

Das Mädchen mit dem Körbchen

 

Wer nicht lesen will,
soll hören

 

 

Es war einmal ein ganz kleines Mädchen. Und wie alle kleinen Mädchen, und überhaupt alle Kinder dieser Welt, trug es über dem Arm ein kleines Körbchen. Dieses kleine Körbchen war dazu bestimmt, aufgefüllt zu werden. Ja, das Körbchen wollte gefüllt werden. Mit nichts als mit Liebe wollte es gefüllt werden, randvoll. Mit Liebe zum groß und stark werden. Und an den Eltern des Mädchens war es, alle Liebe dieser Welt in dieses kleine Körbchen zu legen. Und sie legten etwas hinein, immer wieder. Jeden Tag legten sie etwas hinein. Doch wenn das Mädchen in das Körbchen hineinblickte, sah es nichts. Und so ging es immer weiter. Die Eltern gaben etwas hinein, doch das Körbchen blieb leer.

Das Mädchen wuchs heran und gewann jeden Tag an Schönheit. Und als es endlich erwachsen war und in das Alter kam, in dem die starken Kinder dieser Welt das gefüllte Körbchen ihrer Kindheit für immer aus der Hand geben, um ab nun selbst Körbchen mit Liebe zu füllen, trug unser kleines Mädchen weiter sein leeres Körbchen und merkte nicht, wie schwer es an seinem Körbchen trug. Es trug sein leeres Körbchen hinaus in die Welt und streckte es jedem Menschen entgegen, dem es begegnete, damit er Liebe hineintäte. Manche legten wirklich etwas hinein, doch wenn das Mädchen hoffnungsfroh in sein Körbchen spähte, erblickte es nichts. Das Körbchen blieb leer.

Andere, denen das Mädchen sein Körbchen entgegen hob, wollten etwas herausnehmen aus ihm, zogen und zerrten daran und wurden böse, wenn sie nichts darin fanden. Denn auch sie trugen das leere Körbchen ihrer Kindheit noch immer über dem Arm. Das verwirrte das Mädchen, und es ward unglücklich in allem, was es tat, und spürte keine Zufriedenheit. Es fühlte nur eine große Leere – und diese kam aus dem Körbchen.

Eines Tages zog sich das Mädchen aus lauter Hilflosigkeit zurück von der Welt und verfiel in eine große Trübsal, die sich schon bald in eine Große Wut verwandelte. Es war eine Wut, in der sich all sein Schmerz, seine Ohnmacht, Verwirrung und Angst drängte. Aber gleichzeitig verbarg sich auch alle Liebe dieser Welt in dieser Großen Wut. Wütend warf es das Körbchen gegen die Wand, und wütend wollte es nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Auf dem Fußboden lag nun das zerzauste Körbchen herum und bot einen elenden Anblick. Nein, sagte sich das wütende Mädchen, mit diesem Körbchen will ich nichts mehr zu tun haben, und schloss es wütend weg in ein dunkles Kämmerlein.

Dann ging es wütend fort von der Trübsal, schritt wieder hinaus in die Welt und gewahrte plötzlich so viele Körbchen über den Armen vieler, vieler Menschen. Und es blickte hinein in sie – und sah nichts. Traurig forschte das Mädchen in den traurigen Augen dieser Menschen. Dann lächelte es. Und die Menschen lächelten zurück. Schade, dachte das Mädchen bei sich, ich habe nichts zum Hineintun in all diese Körbchen. Dann lächelte es stattdessen hinein in all die traurigen Augen und ging schließlich traurig, aber auf wohltuende Art versöhnt mit der Welt nach Hause.

Dort angekommen, sank es sogleich in sein Bett. Seine leuchtenden Augen schlossen sich wie Vorhänge nach frohem Theaterspiel, und Furcht und Schmerz perlten aus seinem Herzen. Ein wunderlichter Mond erhob sich über der Erde, glitt sanft durch die funkelnde Schwärze des Himmels und warf seinen Glanz durch ein winziges Fenster in die kleine Kammer. Dort stand es noch immer, das zerzauste Körbchen. Im stillen Mondenschein stand es und war randvoll.

 

 

( Elmar Grüber )

Elmar

Berlin im September 2011

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